Gesetzesinitiative: "Reform der Notfallversorgung" - Notfallversorgungsreformgesetz NotVersRefG

Datum der Veröffentlichung: 3. Juli 2022

Der Rettungsdienst stellt im deutschen Gesundheitswesen einen nicht unwesentlich wichtigen Teil der präklinischen Notfallversorgung dar. Die bestmögliche Versorgung von Menschen in medizinischen Notfällen gehört zu den zentralen Aufgaben des Gesundheitswesens. Deutschland verfügt über umfassend ausgebaute Systeme der Notfallversorgung in ambulanten und stationären Einrichtungen sowie über ein ebenfalls gut etabliertes Rettungswesen. Diese drei Versorgungsbereiche unterliegen jeweils unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten und Ordnungsprinzipien hinsichtlich ihrer Planung, Leistungserbringung und Finanzierung. Seit Jahren leidet das Gesundheitswesen und insbesondere der Rettungsdienst unter Bagatelleinsätzen, dienstfremden Aufgabenzuteilungen wegen unterbesetzter Teilbereiche oder unter den besonderen Umständen der Sars-Cov-2-Pandemie Anfang 2020. Erst mit dieser Pandemie wurde durch die erhebliche Überlastung des Gesundheitssystems die Öffentlichkeit auf die Umstände aufmerksam. Dass diese Umstände auch vor der Pandemie Anfang 2020 zu fundamentalen Einschnitten im Berufswesen der Notfallversorgung gesorgt haben, ist dabei vielen nicht bewusst. Die Umlage vieler ambulanter Versorgungsstrukturen auf den Rettungsdienst sind gerade während der Pandemie erfolgt. Neben standardisierten Rettungseinsätzen gehörten auch deutlich mehr Krankentransporte oder Behandlungsfahrten zur Tagesordnung, genauso wie die Übernahme von Dialysefahrten durch den Rettungsdienst, da die Möglichkeit der Volldesinfektion in Krankenwägen und Kraftwägen allgemeiner Fahrdienste nicht gegeben war. Auch führte der Rettungsdienst vermehrt Behandlungsfahrten zu den Antikörpertherapien oder Covid-positive Entlassungen durch. Somit zählte der Rettungsdienst in jeglicher Hinsicht häufig als schnellster und erster Ansprechpartner in Notfällen.

 

Nicht nur die Bedingungen der Pandemie ließen den Rettungsdienst seine Belastungsgrenze überschreiten; insbesondere nimmt die Anzahl von Bagatelleinsätzen schon vor 2019 immer weiter zu. Dies geht nicht zuletzt aus Gesprächen mit dem Fachpersonal des Rettungsdienstes aus sämtlichen Bundesländern hervor.

 

Die Strafverfolgung wegen unterlassener Hilfeleistung, insbesondere im Hinblick auf Rettungsfachpersonal und damit zusammenhängender Bagatelleinsätze, sind reformbedürftig. Die Möglichkeit zur Erstattung einer Strafanzeige ist in Deutschland ein bewährtes Mittel der Strafverfolgung. Häufig erfolgen Anzeigen gegen Rettungskräfte, wenn diese die Patientin oder den Patienten auf Grund Gefahrenabwägung nicht in ein Krankenhaus transportieren oder anderweitig nicht so reagieren, wie von der Patientin oder dem Patienten gefordert. Dieser Umstand, sich gegenüber Polizei und womöglich Staatsanwaltschaft in offensichtlich belanglosen Verfahren vertreten und verteidigen zu müssen, kann und muss ebenso reformiert werden, wie die Instandsetzung eines völlig neuartigen Berufsbildes in der Notfallversorgung. Die fachliche Einschätzung des Rettungsfachpersonals ist in dem Moment der Gefahrenabwägung entscheidend. Um medizinisches Fachpersonal in solchen Situationen nicht auszuschließen, ist das Strafgesetzbuch allgemeinbegrifflich anzupassen und Fortbildungen arbeitgeberseits bereitzustellen, um derlei Gefahren abzuwenden. Dies bringt Rechtssicherheit für beide Parteien mit sich.

 

Auch die Verabreichung von Betäubungsmitteln stellt das Rettungsfachpersonal vor große Herausforderungen und stellt unüberwindbare Hürden dar. Es muss dem Rettungsfachpersonal gestattet sein, Schmerzmittel zu verabreichen, auch wenn ein Notarzt nicht die Freigabe erteilt hat. Eine regelmäßige Schulung mit anschließender Prüfung kann in genügendem Maße sicherstellen, dass die Verbabreichung der vorbenannten Betäubungsmittel ordnungsgemäß stattfindet.

 

Die ambulante ärztliche Notfallversorgung gesetzlich Krankenversicherter ist, sofern nicht eine notärztliche Versorgung im Rahmen des Rettungsdienstes erforderlich ist, nach geltendem Recht die Aufgabe der vertragsärztlichen Leistungserbringer. Durch den Ausbau des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes, die Einrichtung einer bundesweiten Notdienstnummer sowie Kooperationen mit Krankenhäusern haben die Kassenärztlichen Vereinigungen ihre Notdienstversorgung in den letzten Jahren weiterentwickelt und insbesondere durch Einrichtung von sogenannten Portalpraxen eine bessere Koordination von ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen erreicht. Auch durch Terminservicestellen mit der nun jederzeit erreichbaren Rufnummer 116 117 erhalten Patientinnen und Patienten schnellere Hilfe und Orientierung. Um an diese Entwicklung anzuknüpfen und der hohen Inanspruchnahme von Notfallambulanzen der Krankenhäuser auch bei leichteren Erkrankungen und Verletzungen entgegenzuwirken, muss das System so weiterentwickelt werden, dass eine bedarfsgerechte Inanspruchnahme durch Patientinnen und Patienten erfolgt.

 

Zentrale Aufgabe ist dabei, die regional sehr unterschiedlich entwickelten Notdienststrukturen in ein verbindliches System der integrierten Notfallversorgung zu überführen. Ein neues System der integrierten Notfallversorgung muss auch den Rettungsdienst entlasten, der die zentrale Rolle bei der Ersteinschätzung und Erstversorgung von Notfällen und dem Transport in die gebotene Weiterversorgung hat. Der Rettungsdienst der Länder hat sich mit spezialisierter medizinischer Versorgung am Notfallort und während einer Rettungsfahrt zu einem medizinischen Versorgungsbereich entwickelt, dessen Leistungen bisher unzureichend im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung abgebildet werden. Die Länder fordern daher seit langem, den Rettungsdienst als eigenständigen Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung anzuerkennen.

 

Der Rettungsdienst steht vor der Herausforderung steigender Fallzahlen, insbesondere auch eines absehbar zunehmenden geriatrischen Notfallaufkommens. Zudem ist festzustellen, dass der Rettungsdienst vor dem Hintergrund der aktuell vorhandenen Strukturen der vertragsärztlichen Notfallversorgung und der derzeitigen Finanzierung der rettungsdienstlichen Leistungen als Fahrkosten zu einer Weiterbehandlung vielfach de facto nicht die Möglichkeit hat, Hilfesuchende in adäquater Weise dem vertragsärztlichen System zur medizinischen Abklärung und Weiterversorgung zuzuleiten. In der Folge kommt es oftmals zur unnötigen Inanspruchnahme von Rettungsmitteln und Notfallambulanzen der Krankenhäuser und zu belastenden Situationen für die Patientinnen und Patienten.

 

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat in seinem Gutachten 2018 über die „Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung“ die aktuelle Situation der Notfallversorgung in Deutschland analysiert und erheblichen Reformbedarf in den unterschiedlichen Versorgungsbereichen festgestellt sowie richtungsweisende Empfehlungen zur Neuordnung erarbeitet.

 

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es für eine bedarfsgerechte und ressourcenschonende Notfallversorgung einer einheitlichen, qualitätsgesicherten Ersteinschätzung der von Hilfesuchenden als Notfälle empfundenen Erkrankungssituationen und einer professionellen Steuerung und Vermittlung in die aus medizinischer Sicht gebotene Versorgungsstruktur bedarf. Dies setzt eine integrierte Notfallversorgung voraus, die durch eine verbindliche Kooperation aller handelnden Akteure des Rettungsdienstes und der ambulanten und stationären Notfallversorgung zu erreichen ist und durch eine digitale Vernetzung begleitet sein muss.

 

Ziel des Gesetzes ist es daher, die bisher weitgehend getrennt organisierten Versorgungsbereiche der ambulanten, stationären und rettungsdienstlichen Notfallversorgung zu einem System der integrierten Notfallversorgung weiter zu entwickeln. Eine enge Verzahnung dieser Versorgungsbereiche wird zu mehr Orientierung für Patientinnen und Patienten, zu kürzeren Wartezeiten, zu einem sinnvollen und effizienten Einsatz personeller und finanzieller Ressourcen und damit zu einer Verbesserung der Gesamtqualität der medizinischen Notfallversorgung führen.


MEDIUM HERUNTERLADEN

Aktuelle Themen

11. April 2025
CDU, CSU und SPD haben sich auf einen ambitionierten Kurs verständigt: Der Koalitionsvertrag 2025 setzt klare Prioritäten – wirtschaftliche Erneuerung, technologieoffener Klimaschutz, eine modernisierte Bundeswehr, ein digitaler Staat und gezielte Entlastungen für Familien, Arbeitnehmende und Rentner. Neben einer neuen Gründerfreundlichkeit und einem massiven Ausbau der Energie- und Wasserstoffinfrastruktur verspricht das Bündnis auch Fortschritte bei der Wohnraumschaffung, der Rentensicherheit, dem Bürokratieabbau und der frühkindlichen Bildung. Der Sozialstaat wird reformiert, Asylverfahren beschleunigt, und die Verwaltungsmodernisierung auf allen Ebenen angepackt. Zugleich bleibt die Handschrift einer stabilitätsorientierten Haushaltspolitik mit Schuldenbremse erkennbar. Verbraucher können sich auf verbesserte Verbraucherrechte im digitalen Raum, fairere Steuersätze und mehr Transparenz bei Lebensmitteln und Dienstleistungen einstellen. Die größten Investitionen werden in Verteidigung, Klima, Infrastruktur und Bildung fließen – vergleichsweise gering bleibt der Aufwand bei Justiz, Kultur und Ehrenamt. Wer alle Inhalte im Detail, aber in leicht verständlicher Sprache nachlesen möchte, findet unsere vollständige Zusammenfassung zum Download hier:
7. April 2025
In Deutschland sind zahlreiche Studiengänge, insbesondere im Bereich der Medizin, durch einen Numerus Clausus (NC) zulassungsbeschränkt. Dies führt dazu, dass viele Bewerber trotz Hochschulreife keinen Studienplatz erhalten. Einige von ihnen entscheiden sich daher, ihren Studienplatz auf dem Rechtsweg einzuklagen. Solche Studienplatzklagen haben in der Vergangenheit sowohl Erfolge als auch Misserfolge verzeichnet. Grundlagen der Studienplatzklage Eine Studienplatzklage basiert auf der Annahme, dass Hochschulen ihre Ausbildungskapazitäten nicht vollständig ausschöpfen und somit zusätzliche Studienplätze verfügbar sind. Durch eine sogenannte Kapazitätsklage wird geprüft, ob die Universität tatsächlich alle verfügbaren Plätze vergeben hat. Ist dies nicht der Fall, kann das Verwaltungsgericht die Hochschule verpflichten, weitere Bewerber zuzulassen. Aktuelle Fallbeispiele erfolgreicher Studienplatzklagen In den letzten Jahren gab es mehrere bemerkenswerte Fälle, in denen Studienplatzklagen erfolgreich waren: Medizinische Hochschule Hannover (MHH) : Im Jahr 2020 wurde ein Student im sechsten Fachsemester Humanmedizin an der MHH durch eine erfolgreiche Studienplatzklage zugelassen. Das Verwaltungsgericht Hannover stellte fest, dass die Universität ihre Aufnahmekapazität falsch berechnet hatte, wodurch zusätzliche Studienplätze verfügbar wurden. Quelle Universität Jena : Zum Wintersemester 2020/2021 einigte sich die Universität Jena in einem gerichtlichen Vergleich darauf, acht weitere Studienbewerber im ersten Fachsemester Medizin aufzunehmen. Dies geschah, nachdem festgestellt wurde, dass die Universität ihre Kapazitäten nicht vollständig ausgeschöpft hatte. Quelle Universität des Saarlandes : Ebenfalls im Wintersemester 2020/2021 verpflichtete sich die Universität des Saarlandes, vier zuvor abgelehnte Studienbewerber im fünften Fachsemester Medizin (klinischer Abschnitt) aufzunehmen. Diese Einigung resultierte aus einer erfolgreichen Studienplatzklage. Quelle Bedeutung der Kapazitätsberechnung Diese Fälle unterstreichen die Bedeutung einer korrekten Kapazitätsberechnung durch die Hochschulen. Fehlerhafte Berechnungen können dazu führen, dass Studienplätze ungenutzt bleiben, obwohl eine hohe Nachfrage besteht. Studienplatzklagen dienen in solchen Fällen dazu, die tatsächlichen Kapazitäten offenzulegen und sicherzustellen, dass alle verfügbaren Studienplätze vergeben werden. Unser Fazit Die Studienplatzklage bleibt ein wichtiges Instrument für Bewerber, die trotz formaler Qualifikation keinen Studienplatz erhalten haben. Erfolgreiche Klagen zeigen, dass Hochschulen ihre Kapazitäten nicht immer vollständig ausschöpfen und dass der Rechtsweg eine Möglichkeit bietet, dennoch einen Studienplatz zu erlangen. Bewerber sollten jedoch beachten, dass solche Verfahren komplex sind und eine sorgfältige rechtliche Beratung erfordern.
7. April 2025
In den letzten Jahren haben mehrere Gerichtsentscheidungen die Rechte von Verkehrsteilnehmern im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsmessungen gestärkt. Zentral dabei ist die Frage, ob und inwieweit Betroffene Zugang zu den vollständigen Messdaten erhalten müssen, um die Genauigkeit der erhobenen Geschwindigkeitswerte überprüfen zu können.​ Hintergrund: Standardisierte Messverfahren und ihre Beweisführung Bei Geschwindigkeitskontrollen kommen häufig sogenannte standardisierte Messverfahren zum Einsatz. Diese zeichnen sich durch normierte Abläufe und zugelassene Messgeräte aus, bei denen unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse erwartet werden. Gerichte gehen in solchen Fällen oft von der Richtigkeit der Messergebnisse aus, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen. Für Betroffene bedeutet dies, dass sie im Falle eines Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid darlegen müssen, warum die Messung fehlerhaft sein könnte. Hierfür ist der Zugang zu den vollständigen Messdaten essenziell. Recht auf Einsicht in Messdaten Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem Beschluss vom 12. November 2020 betont, dass Betroffene in Ordnungswidrigkeitenverfahren grundsätzlich ein Recht auf Zugang zu den bei der Bußgeldbehörde vorhandenen, aber nicht zur Akte genommenen Informationen haben. Dies umfasst insbesondere die Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung. Das Gericht führte aus, dass das Recht auf ein faires Verfahren es erfordert, dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe umfassend zu überprüfen. Ohne Zugang zu den vollständigen Messdaten sei eine effektive Verteidigung kaum möglich. Weitere gerichtliche Entscheidungen Auch andere Gerichte haben sich mit der Thematik befasst:​ Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg : In einem Urteil vom Januar 2023 entschied der Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg, dass Betroffenen Zugang zu den Wartungs- und Reparaturunterlagen des verwendeten Messgeräts gewährt werden muss. Die Verweigerung dieser Einsicht stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar. ​ Amtsgericht Koblenz : Das Amtsgericht Koblenz entschied, dass Betroffene das Recht haben, bestimmte Messdaten und -unterlagen einzusehen, um eine ordnungsgemäße Verteidigung sicherzustellen. Dies basiert auf dem Grundsatz des fairen Verfahrens, der sowohl im Strafprozessrecht als auch im Bußgeldrecht gilt. Bedeutung für Betroffene Diese Entscheidungen unterstreichen die Bedeutung der Transparenz bei Geschwindigkeitsmessungen. Für Betroffene bedeutet dies, dass sie im Falle eines Bußgeldverfahrens das Recht haben, die vollständigen Messdaten einzusehen, um die Messung auf mögliche Fehler überprüfen zu können. Dies stärkt die Verteidigungsrechte und trägt zu einem fairen Verfahren bei.​ Unser Fazit Die aktuelle Rechtsprechung betont die Notwendigkeit der Transparenz und des Zugangs zu vollständigen Messdaten bei Geschwindigkeitskontrollen. Betroffene sollten sich dieser Rechte bewusst sein und im Falle von Zweifeln an der Messgenauigkeit entsprechende Einsicht in die Messunterlagen verlangen.